Donnerstag, 22. Januar 2009

Heimfahrt

Es ist schon dunkel, als ich endlich das Gebäude verlasse und mich auf mein geduldiges Reittier schwinge, welches all die Stunden geduldig im Freien auf mich wartete. Die Gangschaltung ist zu knapp drei Vierteln defekt, weswegen die Anfahrt sich immer etwas schwierig gestaltet, doch ich habe dieses Mal rasch Fahrt aufgenommen und treibe den Drahtesel den gewundenen Weg empor, der den unteren Teil der Uni (Linguistik, Historik, Theologie, Bio und die UB) mit dem Hauptteil auf dem Berg (auf dem Fahrrad fühlt es sich wie einer an!) verbindet. Dieser reine Fuß- und Radweg führt hinter den Sportstätten entlang, steigt dann etwa fünzig Meter steil an und führt über einen Autobahnzubringer hinter dem Stundentendorf mitten in den Campus.
Ich kämpfe mich, irgendwie gut gelaunt, die Steigung hinauf und rolle dann langsam über den vielen Scheinwerfern. Vor mir liegt eine Stadt aus Lichtern, die scheinbar haltlos mitten im Dunkel schweben, ein ganzes Wohnviertel, was keine Wohnungen beherbergt, sondern Menschen wie mich, die dort lernen, arbeiten, forschen.

Es kommt so plötzlich, daß es mich regelrecht überrascht - wie eine Welle trifft es mich von der Seite, schlägt über meinem Kopf zusammen. Mittlerweile ist es nicht mehr so fremd wie noch vor einigen Monaten, nicht mehr so unvorstellbar wie vor einem Jahr - und doch bringt es mich noch immer ein wenig aus der Fassung. Ich habe den Drang, laut zu rufen, es hinauszubrüllen, und doch schweige ich lieber, und lasse es mich ganz erfüllen - dieses plötzliche Glücksgefühl, mächtig und seltsam. Mein Bauch wird innerlich warm, und ich strahle plötzlich, die Gedanken, die in meinem Kopf wie Fanfaren klingen, sind einfach zu schön. Ich bin glücklich. Ich lebe - und bin darüber mit einem Mal so froh, so stolz, daß ich wirklich kurzfristig darüber nachdenke, ob ich nicht den unter mir vorbeirasenden Wagen zurufen sollte, was für ein Wunder es ist, daß i c h lebe, daß mir das Leben gefällt - wie wundervoll l e b e n sein kann.

Als aus dem Dunkel am Fuß der schmalen Brücke andere Studenten auftauchen, rolle ich weiter, noch immer breit lächelnd. Die kalte Luft auf meinen Wangen fühlt sich so real an, meine unbedeckten Hände kribbeln und schmerzen im Fahrtwind, und doch genieße ich dieses Gefühl, weil es mir zeigt, daß ich da bin, daß ich fühle. Ich bin.

Kurzfristig wundere ich mich darüber, daß ich es bin, die so selbstverständlich über diesen Campus fährt, mit einem Blick prüft, ob in meinem zweiten, mir lieberen Institut noch Licht brennt, und dann so automatisch schon den Weg nach Hause einschlage. Bis heute ist es manchmal unverständlich, daß ich das geschafft habe, hierher zu kommen und bis jetzt zu bestehen - so viel ist besiegt. Die Einsamkeit, viele Ängste, die Krankheit?!
Mein Rad läuft weiter, und ich zügle es nicht. Im Dunkeln, entlang des Parkes, an dem mein Weg langgeht, wirken die Lichter der mir entgegenkommenden Radler wie Laternen, und kurz verliere ich mich in Gedanken. Ich habe soviel nachzuholen. Manchmal scheint es mir, als wäre ich die vergangenen drei Jahre größtenteils gefangen gewesen - in dem grauen, dunklen Kerker meines eigenen kranken Denkens. Wie farbig, wie bunt, wie schön die Welt sein kann!

Leider ist es wie immer - noch halte ich diese Überlegungen, diese Freude nur schwer aus. Ich muss mich dann wieder in das alte flüchten, muss dem aus Prinzip quasi ein paar düstere Sätze entgegenstellen, meine Ängste beruhigen. 'Nein, keine Sorge, das war nur ein Ausreißer, ich weiß noch nicht, ob ich wirklich leben will, ich teste nur. Nein, keine Angst, ich gebe dich nicht auf, Melancholie. Ich kann immer zurück, ein paar Schnitte, zuviele Tabletten, dann bin ich wieder auf sicherem Boden, dort, wo ich mich auskenne.' Und doch weiß ich, daß es langsam, Stück für Stück, anders wird. Besser. Und wer weiß, vielleicht kann ich eines Tages ganz zu der Freude stehen. Noch machen mir solche Lebensfreude Angst, es ist so gefährlich ungewohnt. Noch kann die ängstliche T. ihre alten Überlebensstrategien nicht ganz loslassen, obwohl ich sie nicht mehr verwende. Nur die Möglichkeit zu haben....

Die Wärme im Bauch ist geblieben, und indem ich das alles aufschreibe, halte ich den Moment fest - und die guten Gedanken.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen